JÜDISCHE ÄRZT*INNEN WÄHREND DER NS-ZEIT
Bis 1938 war ein großer Teil der Wiener Ärzt*innen jüdischer Herkunft. Nach
der nationalsozialistischen Machtergreifung waren auch sie zunehmenden
Repressionen ausgesetzt. Ihnen wurde die Berufsbezeichnung „Arzt“ bzw. „Ärztin“
untersagt; stattdessen wurden diskriminierende Begriffe, wie „Krankenbehandler“
oder „Zahnbehandlerin“, eingeführt. Ordinationsschilder und Schriftstücke waren
mit dem Davidstern zu kennzeichnen. Behandeln durften sie nur mehr jene
Menschen, die nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch eingestuft wurden.
Einige schafften es zu emigrieren, hatten jedoch oftmals Schwierigkeiten, ihre Tätigkeit
weiterhin auszuüben. Mitunter wurden Abschlüsse nicht anerkannt, weshalb für die
Zulassung ergänzende Prüfungen abgelegt oder sogar das komplette Studium wiederholt
werden musste. Andere fanden in der NS-Vernichtungsmaschinerie den Tod, tauchten
unter oder gelten seither als verschollen.
DAS ENDE DER WIENER MEDIZINISCHEN SCHULE
Vertreibung und Ermordung jüdischer Ärzt*innen führten zu einem folgenschweren
Niedergang der Wiener Medizin, der sich in einem Verlust an Internationalität,
Tradition und Innovation niederschlug. Zu ihrer Geschichte forschen Mag.a Dr.in
Barbara Sauer und Univ.-Prof.in Dr.in Ilse Reiter-Zatloukal vom Institut für Rechts- und
Verfassungsgeschichte der Universität Wien (drmed1938.univie.ac.at). Dankenswerterweise stellten sie uns Informationen zu über 30 in Rudolfsheim-Fünfhaus tätigen jüdischen Ärzt*innen zur Verfügung, welche wir als Basis für weitere Recherchen verwendeten.
JÜDISCHE ÄRZT*INNEN IM 15. BEZIRK
Wir nahmen dabei das Schicksal zweier Ärztinnen und eines Arztes aus Rudolfsheim-Fünfhaus genauer unter die Lupe. Dr. Seraphine Fried-Leuchter-Bern schaffte es zu emigrieren. Dr. Felix Taglicht hingegen wurde deportiert und ermordet. Das
Schicksal von Dr. Ida Eckstein galt bis jetzt als „unbekannt“. Unserer Recherchen ergaben jedoch, dass auch ihr die Emigration gelang. Näheres zu diesen Personen erfahren
Sie weiter unten.
LITERATUR & QUELLEN
Angetter, Daniela/Kanzler, Christine (2017): „… sofort alles zu veranlassen, damit der Jude als Arzt verschwindet“. Jüdische Ärztinnen
und Ärzte in Wien 1938–1945; in Czech, Herwig/Weindling Paul (Hg.) Österreichische Arzte und Ärztinnen im Nationalsozialismus; Wien
Unknown authorUnknown author (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:NS-Krankenbehandlungsberechtigung.JPG), „NS-Krank
enbehandlungsberechtigung“, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/
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Sammlungen Bezirksmuseum Rudolfsheim-Fünfhaus
Zu den Bildern:
Bild 1: Mit der vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz wurden 1938 alle nach den Nürnberger-Gesetzen als jüdisch identifizierten Mediziner*innen die Approbation entzogen. Sie galten fortan lediglich als Krankenbehandler und durften als „arisch“ eingestufte Patient*innen nicht mehr behandeln. Dies betraf im 15. Bezirk mehr als 30 Ärzt*innen. Wikipedia, gemeinfrei
Bild 2: Die Zahnärztin Dr. Seraphine Fried-Leuchter-Bern übernahm 1922 die Ordination ihres Vaters in der Goldschlagstraße 21. 1938 gelang ihr die Emigration über das Vereinigte Königreich in die USA. Foto: BM 15_Brigitte Neichl 2021
Bild 3: Der Sohn des ehemaligen Gemeinderabbiners des Turnertempels Dr. Felix Taglicht betrieb bis 1938 eine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten sowie Kosmetik in der Mariahilfer Straße 129. Im Zuge seiner Deportation wurde er 1941 im heutigen Litauen erschossen. Foto: Sammlung BM 15
Bild 4: Dr. Ida Eckstein betrieb im 1926/27 errichteten Vogelweidhof in der Wurzbachgasse 2-8 eine Ordination für Gynäkologie und Kinderheilkunde. 1940 gelang ihr die illegale Emigration nach Palästina. Foto: Sammlung BM 15
Ida Eckstein (1888-1982)
Kindheit und Jugend
Ida Eckstein wird am 26. November 1888 in der heute in Polen gelegenen galizischen Stadt Rzeszów in eine kinderreiche Familie geboren. Vater Mordechai (1858-1932) und Mutter Itta, geborene Goldmann (1860-1944) besitzen dort eine Mühle und sind einflussreiche Mitglieder der ultraorthodox-chassidischen Gemeinde.
Laut der überlieferten Familiengeschichte weigert sich Ida, eine arrangierte Ehe einzugehen. Daraufhin wird sie von ihrer Familie verstoßen. Mit nur 17 Jahren zieht sie nach Krakau und beginnt 1909 - ohne jegliche familiäre und finanzielle Unterstützung - ein Medizinstudium an der dortigen Universität. Ihr letztes Rigorosum legt sie bereits an der Universität Wien ab, an der sie am 27. November 1915 auch promoviert.
Ida Eckstein heiratet kurz darauf am 20. August 1916 den Journalisten, Schriftsteller und Übersetzer Siegfried Schmitz, der als Redakteur bei der zionistischen „Wiener Morgenzeitung“ arbeitet. Ihre Ehe wird 1923 wieder geschieden. Siegfried Schmitz gelingt 1939 die Emigration nach Palästina, wo er sich 1941 das Leben nimmt.
Frauenärztin im Vogelweidhof
Ida Eckstein arbeitet in der gynäkologischen Ambulanz der Genossenschafts-Krankenkassen Wiens und Niederösterreichs. Gemeinsam mit Bianca Bienefeld, der Leiterin dieser Ambulanz und Pionierin der gynäkologischen Medizin, publiziert sie wissenschaftliche Fachartikel. Auf Stiege 3 des neu errichteten Vogelweidhofs in der Wurzbachgasse 2, eröffnet sie ihre eigene Ordination für Gynäkologie und Kinderheilkunde. Dort bezieht sie auch eine Gemeindewohnung. Nach der NS-Machtergreifung im März 1938 wird sowohl der Mietvertrag ihrer Wohnung als auch jener der Ordination gekündigt.
Emigration nach Palästina
1940 gelingt es ihr – vermutlich über die Schweiz – illegal nach Palästina zu emigrieren. Sie überlebt als einzige ihrer zahlreichen Geschwister den Holocaust. In Tel Aviv baut sie sich abermals eine neue Existenz auf und kann sogar ihre Arbeit als Gynäkologin fortsetzen. Viele ihrer Patient*innen sind ebenfalls Emigrant*innen. Am 21. März 1982 stirbt Ida Eckstein 94-jährig in Tel Aviv. Ihr Grab findet sich am Friedhof von Ness Tsiyona.
Quellen
Seraphine Fried-Leuchter-Bern (1896-1971)
Felix Taglicht (1895–1941)
Übersetzer / Translator
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